Es ist nicht so, dass wir nicht genügend Zeit hätten, oft nutzen wir sie nur nicht richtig
Das Rennen des Jahres CHALLENGE ROTH |
Veröffentlicht von Holm Große (holm) am 22.09.2024 |
4:45 Uhr der Wecker klingelt. Es ist der 07. Juli 2024. Um den Wohnwagen nimmt man schon reges Gewusel war.
Beim Schritt vor das Übernachtungsmobil empfangen mich die ersten Sonnenstrahlen. Die Nacht war nicht gut, aber bei weitem nicht so schlecht, wie erwartet. Siebträger an, Espresso, Hinsetzen, kurz genießen.
Frühstücken, anziehen, Tattoos kleben, im Kopf nochmal alles durchgehen. Die beiden Glückssteine, welche mir mein Sohn gegeben hat, packe ich in den Einteiler. Nichts vergessen? Die Aufregung wird größer, der Stresspegel steigt. Noch einmal meinen Junior und meine Verlobte drücken, Küsschen und ab in die Wechselzone. Auf dem Weg über die Brücke und den Kanal blieb mir das erste mal die Luft weg, Gänsehaut machte sich breit.
Die Aufregung wurde nun echt groß, die Verdauung lief auf Hochtouren (kleiner Insider-Tip: 4 Dixis hinterm Wechselzelt am Schwimmstart können auch mehrfach ohne großes Anstehen genutzt werden). Mit zunehmender Aufregung stellte sich immer häufiger die Frage: Warum machst du das? Die Lust nahm ab.
Countdown, Kanonenschlag, es ging los. Wieder Gänsehaut. Die Zweifel waren verflogen. Es geht endlich los. Das worauf man so lange hingearbeitet hat.
Der 10. Kanonenschlag um 7.35 Uhr war mein Startsignal. Ich reihte mich so ein, dass ich möglichem Gekloppe bestmöglich aus dem Weg gehen konnte. Ohne große Erwartungen ans Schwimmen, versuchte ich mich möglichst oft im Wasserschatten eines Mitstreiters aufzuhalten. Als das erste Mal die Uhr piepte, hatte ich den Eindruck: Du bist schnell heute. Beim zweiten Piepen: Nein doch nicht. Die Zeit verging genau so langsam wie immer. Also hieß es für mich, nicht weiter nachdenken und einfach schwimmen. Die erste Wendeboje war passiert und ich entdeckte Alex winkend am Uferrand. Ein paar hundert Meter weiter winkte dann auch meine Familie und ich hatte meine persönliche Radeskorte durch meinen Sohn am Uferrand. Die zweite Wendeboje war passiert, es wurde langsam frisch. Zum Glück war ich kurz darauf schon aus dem Wasser. Die Uhr wurde keines Blickes gewürdigt – bloß keine bad vibrations.
Kältebedingt ein paar Krämpfe im Wechselzelt, welche mich zum glück nicht lange aufhielten.
Nun ging es endlich auf mein geliebtes Rad. Es war frisch. Sehr frisch. Aber das mag ich ja. Ich hielt mich zurück. Die ersten Kilometer wollten nicht vergehen. Nach 20 Kilometern fühlte es sich nun an wie Radfahren und die Leistung näherte sich auch dem vorgegebenem Bereich. Der erste Anstieg näherte sich: Greding. Irre Stimmung, Gänsehaut. Der Berg lag hinter mir, Regen lag über mir, die Gänsehaut blieb. Jetzt wurde es echt frisch. Bei Kilometer 50 wurde es brenzlich. Vor der Kurve hatte ich die Gedanken nicht beisammen und das Carbon nicht trocken gebremst: ausbrechendes Hinterrad und Beinahkollision mit dem Bordstein.
Es dauerte nicht mehr lange und ich überquerte den Kränzleinberg. Welche Freude, Alex und Holm zu sehen. Unerklärlich war mir da, warum mich 3 Polizisten auf dem Motorrad überholten. Weniger Sekunden später, in der Abfahrt – mein Tacho zeigte ca. 65 km/h – schoss ein weißer Blitz an mir vorbei. Magnus Ditlev. Beeindruckend. Und es wurde noch beeindruckender, denn es wurde laut. Nach der nächsten Kurve wurde es noch lauter und noch voller: Ich war am Fuße des Solarer Berges. Gänsehaut, auf der Brust ein unglaublicher Druck, es nahm mir den Atem. Ein Spalier öffnete sich in einer undurchfahrbar scheinenden Menschenmenge. Klatschpappen trieben mich an. Tränen in den Augen. Es war völlig überwältigend.
Die erste Runde war geschafft, kurzer Stop bei Familie, Knutscher für den Junior, Flaschen wechseln bei Holm.
Nachdem die Beine ja nun 90 km taten, was sie sollten, fühlte es sich auf Runde zwei etwas schwerer an. Ich wollte nichts erzwingen und nahm den Blick vom Tacho, folgte dem Gefühl. Schon war die zweite Runde um. Wieder in Eckersmühlen durfte ich rechts abbiegen. T2 war beeindruckend, aus mehreren Gründen. Ich war verblüfft, dass mir die Schuhe ausgezogen wurden, auf Wunsch wäre ich gar eingecremt wurden. Für das Umziehen und Großbesuch im blauen Häuschen standen zwei Minuten auf der Uhr – rekordverdächtig.
Und jetzt war es soweit. Der Endgegner, welcher schon ewig unterbewusst die größten Ängste schürte: Der Marathon. Und nicht irgendein Marathon, sondern ein Marathon nach 180 Radkilometern, welche ich auch in den Beinen merkte.
Ich versuchte rational zu bleiben: „Du bist schon fast 7 Stunden unterwegs, mehr als die Hälfte ist geschafft. Locker bleiben, langsam machen, Tempo finden – bloß kein Druck. Du kannst das, genau dafür war die lange Vorbereitung. Holm hat dich gut vorbereitet, es hat mit seiner Vorbereitung immer bestens funktioniert, heute wird es nicht anders.“
Die ersten 4 Kilometer liefen nicht ganz rund. Die Strecke ging bergab und bergauf, was die Rhythmusfindung schwierig machte. Nun war ich fast am Kanal und wusste, bei KM 8 steht die Familie wieder. Ein Küsschen und ein Gel nahm ich in Empfang und es ging in die andere Richtung zurück. Ich steckte mir Etappenziele. Km 12, Km 21 – Hälfte geschafft. Großartige Stimmung begleitete mich entlang des Kanals, statt erwarteter Monotonie. Und aller zwei Kilometer ein wiederkehrendes und bekanntes Gesicht: Alex. Bis hier hin lief es gut. Für die Kamera war auch immer noch ein Lächeln übrig. Ein Blick auf die Uhr: Tempo konstant, aber unter 11 Stunden wird wohl nichts mehr. Egal, solide und mit Würde Finishen! Familie in den Arm nehmen!
Das nächste Etappenziel: Kilometer 25 und ade Kanal. Die Angst vor dem Einbruch wurde größer. Ab Kilometer 30 ging es topographisch bergauf und viele konnten nur noch gehen (oder kotzen). Ich konnte immer noch laufen. Durch Roth hindurch, bergauf bis Büchenbach ging es mit angepasstem Tempo weiter. Kommt der Krampf? Kommt der Mann mit dem Hammer? Büchenbach habe ich passiert. Bei Kilometer 36 stand erneut Holm zum Anreichen parat. In der Gewissheit, es geht nur noch bergab, sagte ich ihm: „Das hätte ich nie gedacht. Ich brauche nichts mehr, ich hab’s geschafft.“
Und so rollte es bergab zurück nach Roth. Alex Kulumna war wieder an jeder Ecke, feuerte an und machte Fotos. Kurz vor KM 40 ein Blick auf die Kirchturmuhr: 18 Uhr! „Äh, Moment mal. Du bist 7:35 Uhr gestartet.“ Nochmal rechnen, und nochmal, das Ergebnis das Selbe: „Unter 11 Stunden! Ich schaffe es unter 11 Stunden!“
Kurz vorm Stadion stand meine Familie. Mein Sohn klettert durch die Absperrung und kam an meine Hand. Wir laufen zusammen. Er könnte schneller, aber ich kann nicht mehr so schnell. Wir durchlaufen gemeinsam den Zielbogen, ich schreie und er schreit mit mir vor Freude. Ich habe es geschafft.
Ich schau auf die Uhr und empfinde fast ein wenig Traurigkeit, dass dieser tolle Tag nach 10 Stunden und 53 Minuten schon zu Ende ist. Meinem Sohn gebe ich seine Glückssteine zurück, denn wer diese bei sich trägt, kann trotz aller Zweifel alles schaffen.
Dank geht an Holm, mein Freund und meinen Trainer. Ich hatte die Vision und den Wille, du das Know-How und den Plan.
Dank gebührt meiner Familie, ohne deren Unterstützung und Ausdauer dieser Traum nicht Wirklichkeit hätte werden können.
Und Dank gehört auch meinen Freunden und meinem Team.
Zuletzt geändert am: 22.09.2024 um 15:49
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